Christuskirche Gelsenkirchen-Bismarck, Trinenkamp 46; 45889 Gelsenkirchen

Link zur Trägerin: Evangelische Apostel-Kirchengemeinde Gelsenkirchen

Ein Gotteshaus mit wechselvoller Geschichte

Als die Evangelische Kirchengemeinde Braubauerschaft (1902 umbenannt in „Ev. Kirchengemeinde Bismarck in Westfalen“) Ende des 19. Jahrhunderts auf 11000 Seelen angewachsen war, während die Bleckkirche (Kirche des Monats August 2008) auch nach ihrer Erweiterung in den späten 1880er Jahren nur 500 Sitzplätze bot, war es unausweichlich: eine neue Kirche musste her!

Der Presbyteriumsbeschluss zum Neubau lag bereits am 13.3.1899 vor, nach einigen Problemen bei der Auswahl eines Baugrundstücks, als deren Ergebnis die Gemeinde ein Gelände an der damaligen Waterloostraße (heute Trinenkamp) von ihrem Kirchmeister Wilhelm Klein – Albenhausen erworben hatte, erfolgte am 2.10.1899 endlich der erste Spatenstich zum Bau der Christuskirche. Am Sonntag Jubilate, 6. Mai 1900, wurde dann die feierliche Grundsteinlegung begangen.

Das ortsansässige Bauunternehmen Friedrich Friese und Söhne führte das Gebäude nach einem Entwurf des Bielefelder Architekten Alex Trappen aus. Gebaut wurde im Stil der Neugotik, der sich als vermeintlich „altdeutscher Stil“ um die Jahrhundertwende großer Beliebtheit erfreute und deshalb viele Neubauten (nicht nur von Kirchen) in dieser Zeit geprägt hat. Diese Stilrichtung, die sich vor allem durch Spitzbögen, Pflanzenornamente und schlanke, in die Höhe strebende Säulen und Gewölbe auszeichnet, ahmte Bau- und Zierformen der gotischen Architektur des Mittelalters nach, das von vielen als eine bessere und frömmere Zeit betrachtet wurde.

Einmal begonnen, schritt der Bau rasch voran: Bereits im Herbst 1900 konnte mit der Innenausstattung begonnen werden und am 31.10.1901 (also dem Reformationstag) fand schließlich die feierliche Einweihung statt.

Betritt man die Christuskirche heute, erahnt man nur noch einen schwachen Abglanz einstiger neugotischer Pracht: Das prächtige Doppelportal mit seinen schlanken Gewändesäulen und dem Christusmosaik im Bogenfeld kündet noch von vergangener Herrlichkeit, ebenso wie die mit Blumen- und Rankenornamenten gestalteten Konsolen, die innen, im Eingangsbereich, das Gebälk der Orgelempore tragen. Geht man weiter in das Kirchenschiff hinein, ergibt sich ein völlig anderer Eindruck: nüchterne Rundbögen auf schmucklosen Pfeilern und schlichte, einheitlich gestrichene Wände, wo man auf alten Schwarzweißfotografien noch dekorative Schmuckkapitelle und gemalte Verzierungen erkennt; eine Flachdecke, wo man ein Gewölbe erwarten würde.

Das Bombardement Gelsenkirchens in den 1940er Jahren ist nämlich leider auch an der Christuskirche nicht spurlos vorübergegangen. Schon beim ersten Fliegerangriff im Juni 1940 gingen die Fenster des Altarraums zu Bruch, verheerend war jedoch der Bombenangriff vom November 1944: Drei Bomben trafen die Christuskirche, zerstörten den Altarraum und ließen das Dach des Kirchenschiffs bis auf wenige Sparren einstürzen. Mit Hilfe eines Kirchbauvereins und mit viel tatkräftiger ehrenamtlicher Unterstützung wurde die Kirche von 1947 bis 1950 wiederaufgebaut, wobei das Innere vereinfacht wiederhergestellt wurde.

Heute stehen hier ein Altar ohne Aufsatz, ein Taufbecken und eine Kanzel, die alle „aus einem Guss“ und ohne jegliche Verzierung aus hellem Holz gefertigt wurden, während die weißen Wände dem Raum Helligkeit verleihen und die Wirkung der Kirchenfenster zur vollen Entfaltung bringen. Diese wurden 1950/51 von dem Gelsenkirchener Maler Walter Klocke entworfen und von der Werkstatt für Glasmalerei Otto Peters aus Paderborn ausgeführt. In der Mitte thront in einem Rundfenster über der Spitze eines riesigen Holzkreuzes, das an der Rückwand des Altarraums angebracht ist (nur von außen erkennt man heute noch, dass das Rundfenster sich ebenso wie die nebenstehenden Fenster ursprünglich unterhalb in einem Langfenster fortsetzte) der in Purpur gewandete Christus, auf dem Schoß die heilige Schrift, die Rechte zu einer segnenden Geste erhoben, flankiert von den griechischen Buchstaben, Alpha und Omega („A und O“), die für Anfang und Ende stehen.

Rechts davon ein Langfenster in dessen oberem Teil ein Rundfenster Moses mit den Gesetzestafeln und im Hintergrund die eherne Schlange zeigt. Zur Linken ein gleichartig gestaltetes Fenster aus dessen Rundung Johannes der Täufer als Vorläufer Christi mit einer Hand zu diesem hinzeigt, während er in der anderen eine Flagge mit dem Lamm Gottes hält. Die beiden anderen Fenster an den äußeren Kanten des Altarraums, die ohnehin nicht von jeder Stelle im Kirchenschiff aus zu sehen sind, sind (ebenso wie die anderen Fenster der Kirche auch) nicht mit figürlichen Darstellungen, sondern mit einfachen Ornamenten versehen. Alles in diesem lichtdurchfluteten Altarraum strebt nach oben: die schmalen weißen Wände, die hohen langen Fenster und das große hölzerne Kreuz, eine Wirkung, die trotz aller modernen Nüchternheit der von gotischen Kirchen nicht unähnlich ist. (© für alle drei Fenster-Fotos: Stiftung Forschungsstelle für Glasmalerei des 20. Jh. e. V./Dr. Annette Jansen)

Neben dem Altarraum fallen beim Hereinkommen die vier großformatigen Leinwandgemälde an der rechten Wand des Kirchenraumes auf. Sie zeigen – vom Eingang zum Altarraum hin betrachtet (also von rechts nach links, entgegen der üblichen Leserichtung) – die Kreuztragung, die Kreuzigung und die Grablegung Christi sowie die Begegnung des Auferstandenen mit zwei verzweifelten Jüngern, die ihn zuerst nicht wieder erkennen beim Gang nach Emmaus. Die Bilder wurden als Gefallenenehrung konzipiert (unterhalb sind an einer Holzvertäfelung 28 Marmortafeln angebracht, auf denen die Namen der insgesamt 269 Gefallenen aus der Gemeinde im Ersten Weltkrieg (1914 – 1918) verzeichnet sind) und 1924 von dem Kirchenmaler Rudolf Schäfer aus Rotenburg an der Wümme geschaffen. Nach einer Vereinbarung mit dem Presbyterium erhielt Schäfer statt eines Werklohns während der Zeit, in der er an den Bildern arbeitete, das Gehalt eines Pfarrers der Ev. Kirche von Westfalen.

Bereits zweimal (2006 und 2008) hat der Förderverein der Christuskirche dem Künstler Rudolf Schäfer (1878 – 1961), der der bedeutendste evangelische Kirchenmaler und Illustrator religiöser Schriften der 20er und 30er Jahre war, eine Ausstellung gewidmet. Angeblich sind in den Gemälden Bildnisse von damaligen Pfarrern der Gemeinde verarbeitet. In den ersten beiden erkennt man in der Figur des römischen Hauptmanns, der sich unter dem Kreuz zu Christus bekennt, die Gesichtszüge des Reichskanzlers Otto von Bismarck, was sowohl ein Ausdruck von deutschnationalem Patriotismus als auch ein „redender“ Bezug zum Stadtteil Bismarck ist.

Den Krieg überstanden die Bilder, weil sie schon im März 1944 ausgelagert, von den Keilrahmen abgespannt und zusammengerollt im Tresor der Commerzbank eingelagert wurden. In den 50ern wurden sie wieder an ihren Ursprungsort verbracht. Nach langen Diskussionen, bei denen auch eine Verdeckung oder gar völlige Beseitigung der Gemälde aufgrund ihres theologisch bedenklichen Inhalts (die Passion Christi wird zu dem Machtkampf des deutschen Volkes in Beziehung gesetzt) ernsthaft erwogen wurde, entschloss sich das Presbyterium 2006 zu ihrer Erhaltung und einer Restaurierung, die vom Förderverein der Kirche und vom Westfälischen Amt für Denkmalpflege bezuschusst wurde und die die erheblichen Schäden, die durch die unsachgemäße Lagerung im Banksafe und durch die anschließende jahrzehntelange Vernachlässigung entstanden waren weitgehend und so gut wie möglich beseitigte.

Gegenüber, auf der linken Seite, befindet sich das Seitenschiff mit Empore. Im unteren Teil ist seit dem 100jährigen Jubiläum der Kirche im Jahr 2001 ein Kirchcafé eingerichtet, das sonntags nach dem Gottesdienst ein Beisammensein bei Kaffee und Kuchen ermöglicht und sich mittlerweile großer Beliebtheit erfreut.

Für die evangelische Gemeinde in Bismarck ist die Christuskirche seit dem 1.1.2008 die einzige regelmäßige Gottesdienststätte, in der jeden Sonntag Gottesdienst gefeiert wird. Zur Erhaltung des wertvollen historischen Gebäudes, das renovierungsbedürftig, in seiner Substanz aber noch gut und daher unbedingt erhaltenswert ist, wurde 2006 der „Förderverein der evangelischen Christuskirche Gelsenkirchen – Bismarck“ gegründet. Über die Gemeindegrenzen hinaus (die Mitgliedschaft ist weder an die Zugehörigkeit zur Gemeinde noch an das Bekenntnis zur evangelischen Konfession gebunden) bemüht sich dieser eingetragene gemeinnützige Verein um die finanzielle, aber auch die ideelle und praktische Förderung des Bauwerks. So ist die Kirche etwa seit 2006 jedes Jahr am Tag des offenen Denkmals einem breiten interessierten Publikum zugänglich, jedes Mal verbunden mit einer kleinen Ausstellung.

Trotz Zerstörung und Verfall hat sich die Christuskirche ihr äußeres Erscheinungsbild (abgesehen von der fehlenden Turmspitze, die in den 1970er Jahren wegen Baufälligkeit abgetragen werden musste) über die Jahrzehnte hinweg weitgehend bewahrt. Und noch ein weiteres hat sich trotz Zerstörung, Wiederaufbau und moderner Umgestaltung nicht geändert: Der Mittelpunkt der Kirche war, ist und bleibt der, dessen Namen sie trägt: Jesus Christus.

Dies ist nicht nur symbolisch, sondern auch räumlich zu verstehen: Abbildungen von oder Hinweise auf Christus durchziehen wie eine Linie die optische Mitte des Kirchenschiffs. Dies beginnt mit dem noch aus der Bauzeit stammenden Christusmosaik über dem Eingangsportal, das eine Christusdarstellung zeigt, die die Hand zum Segen der Gläubigen erhoben hat und (dank einer geschickten perspektivischen Spielerei) überdies den Betrachter immer anzuschauen scheint, egal, wo dieser gerade steht. Es setzt sich fort in der großen Fensterrosette über dem Hauptportal, die heute durch die Flachdecke von innen leider nicht mehr sichtbar ist, die aber durch effektvolle Beleuchtung von hinten in den Wintermonaten bei einbrechender Dunkelheit wenigstens nach außen hin erstrahlt: Sie zeigt das Christusmonogramm, zusammengesetzt aus den griechischen Buchstaben Rho und Chi (ähnlich wie „P und X“). Im Inneren wird die Linie weitergeführt durch das kleine Kruzifix, das Standbild des Gekreuzigten auf dem Altar, dahinter zieht das imposante Holzkreuz an der Rückwand (das zwar leer, deswegen aber kaum weniger symbolträchtig ist) den Blick nach oben hin zum Rundfenster mit der Darstellung Christi, der den Segensgestus aus dem Portalmosaik zu wiederholen scheint. Dieses Christusfenster bildet nicht nur den Endpunkt der Linie, sondern, wenn man so will, auch den Scheitelpunkt, auf den hin die ganze Kirche zentriert ist. Denn das Kirchenschiff ist in seiner Längenfluchtung natürlich auf den Altarraum ausgerichtet und dieser strebt wie gesagt optisch zur Mitte und in die Höhe, also zu besagtem Fenster und damit zu Christus hin.

Die Christuskirche ist geöffnet sonntags zu Gottesdiensten und Kirchcafé (10-ca. 12 Uhr) sowie nach Absprache mit dem Gemeindebüro der Evangelischen Apostel-Kirchengemeinde Gelsenkirchen. Außerdem gibt es besondere Öffnungszeiten zu Ausstellungen, am Tag des offenen Denkmals etc. Sie stehen auf der Homepage www.christuskirche-bismarck.de.

Benjamin Bork
(Schriftführer im Förderverein der ev. Christuskirche Gelsenkirchen – Bismarck e.V)