Das Herz ist keine Rechenmaschine

Statement von Superintendent Heiner Montanus zum Nahostkonflikt.

Wir können Leid nicht verrechnen.

Das kennen wir aus dem Alltag.

Wenn ich jemandem erzähle, dass mein Vater gestorben ist, möchte ich hören: „Das tut mir sehr leid! Mein herzliches Beileid!“ Und ich will nicht hören: „Das hatte ich auch mal. Und sogar noch schlimmer!“

Ich möchte in meinen Leid gesehen werden. Und will nicht hören, dass es so schlimm nicht ist.

Denn: Leid lässt sich nicht verrechnen. Es kann nicht gegeneinander aufgewogen werden.

Das setzt voraus, dass wir von uns selbst wegsehen. Und uns bemühen, uns in das Gegenüber hineinzuversetzen. Wie würde es mir gehen, wenn ich an seiner Stelle wäre? Wie würde es mir gehen, wenn ich erleben müsste, was sie gerade erlebt?

Ich zeige Herz! Ich werde nicht hartherzig.

Ob wir uns Leid zu Herzen gehen lassen oder anfangen zu rechnen: Vor diese Frage werden wir Tag für Tag gestellt. Zum Beispiel, wenn wir die Nachrichten sehen.

Versetzen uns die Massaker der Hamas und die große Zahl der Opfer einen Stich ins Herz? Oder rechnen wir den Terror schön?

Tut es uns zugleich im Herzen weh, wenn wir das Leid der Zivilbevölkerung in Palästina sehen? Oder verrechnen wir die Opfer? Gute Opfer gegen böse. Für die einen „Wie schrecklich“, für die anderen „Das geschieht euch recht!“?

Bewegt es uns im Herzen, dass der Antisemitismus vor unserer Haustür Menschen jüdischen Glaubens in Angst und Schrecken versetzt? Dass sie Angst haben, zum Gottesdienst zu gehen, ihre Kinder zur Schule zu schicken?
Oder fangen wir an, Antisemitismus kleinzurechnen?

Ist Antisemitismus für uns mehr als Fremdenfeindlichkeit?
Verrechnen wir den Antisemitismus in unserer Stadt mit dem Leid in Palästina?

Ja, es ist leicht zu rechnen. Weil dadurch vieles so einfach wird.

Nur eins wird nicht leicht: Das Herz!
Ein Herz, das rechnet, wird zur Maschine. Es hört auf, menschlich zu sein.

Darum:

Hören wir auf, Leid zu verrechnen.
Fangen wir nicht an, Leid zu verrechnen.

Zeigen wir Herz!

Pfarrer Heiner Montanus
Superintendent des Ev. Kirchenkreises Gelsenkirchen und Wattenscheid