So auch die damals siebenjährige Doris Eckholz, geb. Kranz: „In dieser Zeit des Krieges hielten meine Mutter und ich uns häufig bei meinen Großeltern in der Georgstraße auf. Dort hatten meine Großeltern eine gutgehende Gastwirtschaft. Mein Vater war eingezogen.Am 06.11.1944 gab es mittags Bombenalarm. Wir flüchteten in den Bunker in der Nähe. Als wir später den Bunker verließen, zeigte sich uns ein schreckliches Bild. Es war fürchterlich. Überall Bombenkrater, tote Pferde. Es war furchtbar anzusehen. Unser Haus stand noch. Wir wollten zu meinen Großeltern in die Altstadt, aber wir konnten nicht durchkommen. Der Himmel war rot vor Feuer. Meine Oma kam uns mit einem Koffer entgegen. Das Haus meiner Großeltern war zerstört. „Alles weg“, sagte meine Oma. Mein Opa war verzweifelt: „Unsere Existenz ist zerstört. Jetzt bin ich wieder arm.“ Zwei Tage später gelangte mein Opa durch eine Luke in das zerstörte Haus und konnte ein paar Dinge retten: Eine Bonbonniere, einen Kuchenteller, Silberbesteck.“Gemeinsam mit ihrer Mutter wurde die kleine Doris dann nach Bünde evakuiert.
An ähnlich traumatische Erlebnisse erinnert sich auch der damals 13-jährige Leo Offermann, geb. Mengel: „Die Zeit des Krieges habe ich als fürchterlich erlebt. Die Phosphorbomben, die niedergingen und alles in Brand steckten. Wir haben in der Neustadt in einem Haus der Reichsbahn direkt am Bahnhof gewohnt, weil mein Vater bei der Reichsbahn beschäftigt war. Wenn die Lampen am Bahnsteig halb runter waren, wussten wir, jetzt gibt es gleich Alarm und es ist Zeit, in den Bunker zu gehen. Einmal waren wir sehr spät und sind durch den Bahnhof durch die Hiberniastraße gelaufen. Dort gab es einen Bunker tief im Keller. Meine Mutter ist hingefallen und ich hatte große Angst, dass wir es nicht mehr schaffen. Als wir am Bunker ankamen, war die Tür schon zu, wurde aber durch unser Klopfen wieder geöffnet und wir konnten auch hinein. Brennender Phosphor fiel vom Himmel und es fing an zu brennen. Auch die Post wurde getroffen.“ Der junge Leo kam dann zur Kinderlandverschickung, sah seine Mutter erst nach 1 ½ Jahren wieder. Auf dem Weg zurück ins Ruhrgebiet wurde auch der Zug mit den heimkehrenden Kindern von Luftangriffen bedroht. „Später sind wir wieder nach Gelsenkirchen zurückgekehrt und im Herbst 1945 wurde ich in der Neustadt im Kindergarten konfirmiert, die Kirche war ja zerstört. Die Angst, die wir erlebt haben, kann ein anderer nicht verstehen.“
Pfarrer Bernd Naumann und Prediger Dirk Blum verlasen im Wechsel weitere bedrückende Erinnerungen jugendlicher Zeitzeugen. Sie alle erlebten den Krieg als eine entsetzliche traumatisierende Zeit. „Nur kein Krieg mehr, nie wieder Krieg“, so die eindringliche Bitte aller Zeitzeugen im Rückblick.
Eine meditative, stille Andacht, kein Gemeindegesang. Das Leid, das Entsetzen, die Trauer der damals jungen Zeitzeugen und ihre Geschichten standen hier im Mittelpunkt.
Ebenso die Versöhnungslitanei von Coventry, so, wie sie dort seit 1958 an jedem Freitagmittag gebetet wird.
„Wir alle haben gesündigt und mangeln des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollten. Darum lasst uns beten (und gemeinsam sprechen):
Vater, vergib!
Den Hass, der Rasse von Rasse trennt,
Volk von Volk, Klasse von Klasse:
Vater, vergib!
Das habsüchtige Streben der Menschen und Völker, zu besitzen, was nicht ihr eigen ist:
Vater, vergib!
Die Besitzgier, die die Arbeit der Menschen ausnutzt und die Erde verwüstet:
Vater, vergib!
Unseren Neid auf das Wohlergehen und Glück der anderen:
Vater, vergib!
Unsere mangelnde Teilnahme an der Not der Heimatlosen und Flüchtlinge:
Vater, vergib!
Den Rausch, der Leib und Leben zugrunde richtet:
Vater, vergib!
Den Hochmut, der uns verleitet, auf uns selbst zu vertrauen und nicht auf dich:
Vater, vergib!
Lehre uns, o Herr, zu vergeben und uns vergeben zu lassen, dass wir miteinander und mit dir in Frieden leben.
Darum bitten wir um Christi willen.
Seid untereinander freundlich und herzlich und vergebt einem dem anderen, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.
Wir wissen, wenn wir umkehren, werden wir leben!“
Licht und Schatten, so der Titel der Fotoausstellung zum 80. Jahrestag der Bombardierung der Altstadtkirche. „Ich war auf der Suche nach einem alten Buch und dabei fand ich einen Karton voller Bilder. Im Team der Offenen Kirche ist dann der Gedanke entstanden, diese Fotos zu präsentieren“, stellt Pfarrer im Ruhestand Wolf-Rainer Borkowski heraus. Auch Klaus Weirich gehört diesem Team an. „Als wir darüber sprachen, kam uns die Idee, die 14 Fotos hier in der Altstadtkirche zu zeigen.“ Doch warum dieser Titel, Licht und Schatten? „Wir wollten etwas zur Eröffnung der Aktion „1000 Lichter“ in Gelsenkirchen beitragen“ erläutert er. Dort die vielen Lichter, hier der Schatten. „2700 Sprengbomben sind damals auf Gelsenkirchen niedergegangen.“ Doch es gab auch die versöhnlichen, hellen Momente nach all der Zerstörung. Auf einigen Fotos erkennt man Menschen, die wieder aufbauen, die tatkräftig all den Schutt beseitigen. In die Trümmer hinein greift das Leben. Vögel brüteten in der zerstörten Kirche, so manch Liebespaar traf sich hier heimlich, im Schutze Gottes. Das Leben, es ist immer stärker als all die Zerstörung. Licht neben so viel Schatten.
Text: Frauke Haardt-Radzik
Fotos: Cornelia Fischer