Kirche der Solidarität

Vor 21 Jahren protestierten Kirche und Bergleute gegen die Schließung der Zeche Hugo

Pfarrer Dieter Heisig (links) und Teilnehmende der Diskussionsveranstaltung trafen sich vor der Apostelkirche. An diesem Ort erregte vor rund 21 Jahren der Protest gegen die Schließung der Zeche Hugo viel Aufmerksamkeit. FOTO: GERD KAEMPER

Pfarrer Dieter Heisig (links) und Teilnehmende der Diskussionsveranstaltung trafen sich vor der Apostelkirche. An diesem Ort erregte vor rund 21 Jahren der Protest gegen die Schließung der Zeche Hugo viel Aufmerksamkeit. FOTO: GERD KAEMPER

GELSENKIRCHEN – „Jeden Tag zündeten wir eine neue Kerze für die Andacht während der Mahnwache gegen die Schließung an. Anfangs dachten wir, eine Stuhlreihe um den Altar herum reiche aus, aber damit hatten wir uns verkalkuliert: Es kamen immer mehr Menschen. Eine Stunde vor Beginn der Andacht war der Kirchplatz voll mit Gelsenkirchener Bürgern, Bergleuten und ihren Angehörigen, um Neuigkeiten auszutauschen oder Aktionen zu planen!“, erinnerte sich Industrie- und Sozialpfarrer Dieter Heisig an bewegende 33 Tage seiner beruflichen Laufbahn.

Besetzung der Apostelkirche

Als 1997 die Belegschaft des Bergwerks Hugo befürchtete, dass ihre Arbeitsplätze Knall auf Fall wegfallen würden, formte sich eine Form des Wiederstands, die vielen Menschen bis heute lebhaft in Erinnerung geblieben ist: Die Apostelkirche an der Horster Straße wurde kurzerhand von den Bergmännern besetzt und zum Mittelpunkt des Protests erklärt. „Dies geschah natürlich mit dem Einverständnis des Presbyteriums, da überlegt wurde, was der kirchliche Beitrag sein kann. Die Kirche war rund um die Uhr geöffnet und auf dem Vorplatz wurden Zelte aufgebaut. Es wurde Kaffee bereitgestellt und es gab das berühmte Kohlenfeuer im Feuerkorb zum Wärmen“, so Heisig. Seitens der Kumpel erhielt die Apostelkirche den Titel „Kirche der Solidarität“.  Täglich versammelten sich dort viele Menschen schon ab dem Nachmittag, um gemeinsam um 18 Uhr eine 30-minütige Andacht zu feiern, an der sich die Bergleute von der Liturgie bis zum Glockenleuten beteiligten. Anschließend gab es ein Programm aus Informationen, der Planung weiterer Aktionen und Kulturdarbietungen, an denen auch Künstler des MIR teilnahmen.

Anlass zum Rückblick gab die Diskussionsveranstaltung “Alltagswelt & Sonntagskirche – Was Kirche und Bergbau verbindet“, die am 29. Oktober vom Industrie- und Sozialpfarramt im Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid und dem Institut für Kirche und Gesellschaft organisiert wurde. Nach einem gemeinsamen Kaffeetrinken gab es für die rund 60 Teilnehmenden in der Apostelkirche eine Andacht in Form der Mahnwachen. Die Erinnerungsimpulse von Menschen aus dem Bergbau und der Kirchengemeinde führten anschließend zum regen Austausch. Eine ehemalige Erzieherin bestätigte, wie sehr die Ereignisse das Umfeld der Menschen beeinflusste. Der Kindergarten wurde in eine Minizeche verwandelt und zu dem Thema wurde gebastelt und gestaltet. Sogar Kinder- und Schülergruppen besuchten die Mahnwachen.

Hochemotionale Zeit für alle Betroffenen

Heisig selbst hatte damals einige Nachtschichten übernommen und erlebte, wie wichtig es für die Bergleute war, ihre Sorgen zu teilen. „Nach Mitternacht wurde es ruhig. Das waren dann die Momente, wo tiefe Gespräche stattgefunden haben. Die Leute standen unter großer Spannung und Zukunftsängsten“, weiß Heisig und beschreibt, welche Funktion Kirche und Gemeindehaus für die Menschen erfüllten: „Der Ort war in dieser hochemotionalen Zeit für alle Betroffenen zum Kommunikationszentrum geworden. Es haben sich Leute zusammengefunden, die zuvor nie miteinander ins Gespräch kamen. Ich gehe nächstes Jahr in den Ruhestand und kann sagen, das war eine der schönsten und bewegendsten Zeiten in meinem Beruf!“

Gemeinsam wurde reflektiert: War die Aktion erfolgreich? Welche Rolle sollte Kirche in solchen Konflikten einnehmen? Von der Bedeutung der kirchlichen Solidarität ist Heisig überzeugt: „Es war gut, dass wir uns gemeinsam gewehrt haben. Es hat dafür gesorgt, dass niemand plötzlich vor dem Nichts stand!“ Die Veranstalter gingen während der Rückschau auch auf die Ereignisse im Hambacher Forst und die kirchliche Position zum Ausstieg aus dem Braunkohleabbau ein. „Ein Thema, das kontrovers diskutiert wird. Über die Interessengegensätze haben wir uns – und dazu hat das Setting Kirche beigetragen – ausgeglichen ausgetauscht. Vorherrschend war die Meinung, dass Protest in einer Demokratie sein darf und muss – jedoch auf gewaltfreie Weise.“