GELSENKIRCHEN – „Bloß kein Harmonium!“ Das sagen die meisten Organisten, wenn sie das kastenförmige Instrument nur von Weitem sehen. Es hat irgendwie einen schlechten Ruf, der sich ungefähr so zusammenfassen lässt: Ein Harmonium, das steht in Friedhofskapellen herum und ist häufig kaputt.
In Gelsenkirchen-Ückendorf ist das ganz anders. Seit einigen Jahren gibt es (natürlich zusätzlich zur Orgel) in der Nicolai-Kirche ein Harmonium der Stuttgarter Firma Trayser. Es hat mehr als 100 Jahre auf dem Buckel, funktioniert einwandfrei – und hat ein Innenleben, das Kirchenmusikdirektor Andreas Fröhling begeistert. Von außen ist das nur an einem unscheinbaren Knopf zu erkennen, auf dem „Expression“ steht. Zieht man ihn heraus, dann kann dieses Harmonium etwas, das keine Orgel kann: Die Lautstärke der Töne lässt sich dank der Expression über die Fußpedale steuern.
Das Sopran-Saxophon: Synonym für rotzig-frech
Moment – auch eine Orgel kann doch ganz laut oder sehr leise klingen, oder nicht? Die für Laien vielleicht überraschende Antwort: Nein, das kann sie eigentlich nicht. Jedes Register hat immer die gleiche Lautstärke. Natürlich klingt das Register „Trompete“ lauter als das Register „Flöte“ – und beide zusammen klingen noch lauter. Aber in den Tönen selbst lässt sich keine Dynamik erzeugen.
Diese Ton-Dynamik macht Fröhling sich zunutze, wenn er am 15. April romantische Kompositionen auf dem Trayser-Harmonium spielt. Und damit nicht genug: Jörg Gravenhorst sorgt mit dem Sopran-Saxophon für eine weitere Klangdimension. „Wir spielen Stücke, die mit diesen beiden Instrumenten noch niemals aufgeführt worden sind“, kündigt Gravenhorst an.
Das Sopran-Saxophon kennen nur wenige – und wenn, dann aus dem Jazz. „Es ist nahezu ein Synonym für rotzig-frech“, so Gravenhorst. Seine Heimat ist aber die klassische Musik – und so spielt er das Instrument auch. „Ich genieße es total, die Leute zu irritieren“, meint er im Blick auf das neue Klangerlebnis, das dieses Konzert vermittelt.
Warme Klänge der Romantik
Auf dem Programm stehen „Bearbeitungen“ – eine Tradition, die in der Evangelischen Kirche lange fast verpönt war, die Kreiskantor Fröhling aber fasziniert: „Viele Bearbeitungen entstanden im 19. Jahrhundert. Es gab ja noch keine Tonträger und nicht überall Konzerthäuser, deshalb schrieb man Stücke, die für ein Orchester komponiert waren, um auf andere Instrumente – etwa für zwei Klaviere – um sie überhaupt einmal zu spielen und kennen zu lernen. Das war dem Protestantismus nach 1945 nicht streng genug, nicht rein genug, nicht evangelisch genug.“
Werke von Armando Olivera, Josef Gabriel Rheinberger und Max Reger, gespielt auf Sopran-Saxophon und Harmonium, werden bei diesem Konzert zu einem ungewöhnlichen Hör-Erlebnis, das aber gerade dem romantischen Charakter dieser Musik gerecht wird. Einen kleinen Ausflug in die barocke Musik Telemanns gibt es auch. Und Andreas Fröhling freut sich darauf, den Zuhörenden einen Eindruck davon zu vermitteln, was ein Harmonium alles kann.
Das Konzert in der Reihe „Emporenkonzerte 15“ beginnt am Sonntag, 15. April, um 19 Uhr in der Evangelischen Nicolai-Kirche, Ückendorfer Straße 108, 45886 GE. Es dauert etwa eine Stunde. Danach werden Getränke im Vorraum der Kirche gereicht. Der Eintritt ist frei.