GELSENKIRCHEN – Pfarrer im Ruhestand Klaus Venjakob hat 2018 ein besonderes Weihnachtsfest gefeiert: „Ich war zum ersten Mal ganz bewusst nicht auf, sondern unter der Kanzel.“ Am 17. Juni ist er in den Ruhestand gegangen – und findet die ersten Monate „einfach nur gut“. Eine geradezu lebenskünstlerische Übung hat er erfunden: „Möglichst jeden Abend führe ich mir vor Augen: Das konntest du nur unternehmen oder erleben, weil du im Ruhestand bist.“
Dazu gehören Zeit für und mit Ehefrau Irene, Zeit für vier Kinder und sechs Enkel, verbunden mit Besuchen in Köln, Berlin und Brandenburg, Urlaubsreisen in die Bretagne und in die Uckermark. Und lesen! „In der neuen Karl-Barth-Biographie habe ich 150 Seiten am Stück gelesen – ein echter Luxus, wie er vorher nicht möglich gewesen wäre.“ Ein Spaziergang zur Halde Rungenberg pustet ihm den Kopf frei und Fahrradtouren machen ihm Freude. Klaus und Irene Venjakob sind aus dem Pfarrhaus in eine Mietwohnung ganz in der Nähe gezogen und fühlen sich wohl mit dieser Entscheidung.
Blick auf das Pfarramt
Ein halbes Jahr Abstand zum Beruf – reicht das schon, um klarer zu sehen, wie sich das Pfarramt seit den 80er Jahren verändert hat? Was ist neu dazugekommen, was in den Hintergrund getreten? Oder ist alles so geblieben, wie es immer war?
Im Gespräch zeigt sich schnell: Klaus Venjakob ist noch nahe genug ‚dran‘, um tiefe Einsichten mit anschaulichen Beispielen zu verknüpfen. „Insgesamt hat sich die Einstellung zum Glauben sehr verändert.“ Beispiel eins: Anfangs kamen zur Goldkonfirmation 70 oder mehr Jubilare, heute sind es eher 20. Beispiel zwei: die Konfirmandenarbeit. „Da gibt es eine bleibende Akzeptanz und Nachfrage. Der Unterricht ist viel reflektierter geworden, es gibt ein gewolltes Zulassen von Fragen – und die Jugendlichen erleben hier Gemeinschaft, wie sie sie sonst kaum noch kennen.“
Im Geben liegt ein Empfangen
Ein Arbeitsbereich ist seiner Ansicht nach „immer mehr in unseren Dienst hineingewachsen“: die Verwaltung. „Da sind die Ansprüche quantitativ und qualitativ deutlich gestiegen.“ Ob Heizkosten für die Kirchen, neue Technik im Gemeindebüro oder die Berechnung von Küsterstunden – in den letzten Jahren musste er sich als Pfarrer mit Themen befassen, die ihn nach seinem Gefühl „in den ersten 15 Jahren gar nicht so tangiert haben.“ Das führte durchaus auch zu emotionalen Belastungen. „Ich war immer stark identifiziert mit meiner Kirche. Wenn Sorgen um sie geäußert wurden, dann wurden sie auch zu meinen Sorgen. Wir Pfarrer und Pfarrerinnen haben uns gut darauf ansprechen lassen.“
Was ist der rote Faden durch alle Höhen und Tiefen des Pfarramts? Da muss Klaus Venjakob nicht lange überlegen und seine Augen leuchten: „Verkündigung, Gottesdienste gestalten, sich um Menschen kümmern in Seelsorge und bei Kasualien. Und dass das so sein durfte, das macht mich zufrieden.“ Oder, wie er es in seiner Abschiedspredigt ausgedrückt hat: „Ich finde nach wie vor, dass der Pfarrberuf in seiner Nähe zu den Menschen Erfüllung bedeutet und im Geben auch oft ein Empfangen liegt.“
Die Welt als globales Dorf
Im Kirchenkreis engagiert sich Venjakob für die Partnerschaft mit dem Kirchenkreis Morogoro (Tansania). Sie versteht er als Modell für die Eine Welt. „Ich habe immer gedacht: Sich als Freunde und Partner zu begegnen – das ist ein Abbild dafür, was die Welt als globales Dorf braucht.“ Dass die Bildung inzwischen so gut in diese Partnerschaft integriert ist (siehe Infos unten), freut ihn besonders. Hier wird er sich auch weiterhin engagieren, als Mitglied im Partnerschaftskreis ebenso wie bei der Kress-Stiftung. Der Trinitatis-Kirchengemeinde Buer bleibt er u.a. durch Mitarbeit in deren Förderverein verbunden.
Ein knappes Jahr lang will Venjakob sich im Ruhestand einleben. Danach kann er sich Vertretungsdienste in der Trinitatis-Gemeinde und im Kirchenkreis durchaus wieder vorstellen. Jetzt gewinnt er erst einmal neue Einsichten: „Der Pfarrberuf hat mich ganz in Anspruch genommen. Ich habe mich immer sehr stark verpflichtet gefühlt und mich den anstehenden Aufgaben gestellt. Jetzt spüre ich, dass ich ganz neu entscheiden kann, wo ich meine Kraft einbringen und meine Gedanken hinlenken will. Diese Entscheidungsfreiheit erlebe ich bisher ausschließlich als Gewinn.“
Bildung ist der Lebensschlüssel:
Die René und Rudi Kress-Stiftung vergibt gemeinsam mit dem Evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid Stipendien an zurzeit 18 Waisenkinder/Jahr im Kirchenkreis Morogoro. Dort kostet der Besuch einer weiterführenden Schule als Internat (ab dem 8. Schuljahr) rund 1.250 Euro/Jahr. Zusätzlich unterstützt der Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid die Mitarbeitenden (Pfarrer*innen, Diakone etc.) des Kirchenkreises Morogoro bei der Ausbildung ihrer Kinder. Ein Pfarrer verdient in Tansania umgerechnet etwas mehr als 100 Euro/Monat. Pro Kind bekommen die Mitarbeitenden 250 Euro/Jahr. Manche Kinder können die Schule von Zuhause aus besuchen, für andere sind die Wege zu weit, so dass sie ebenfalls im Internat untergebracht werden müssen. Bei der Verabschiedung im vergangenen Juni kamen (anstelle von persönlichen Geschenken) 4.000 € für die Ausbildungsbeihilfen in Morogoro zusammen.